Wo Glauben sonst noch wohnt …
Text: Alexander Bernstein
Fotos: Reiko Fitzke | rficture
Um dem Glauben in einer Stadt wie Dresden auf die Spur zu kommen, ihn im Wortsinn zu spüren, ist es nicht unbedingt notwendig, geweihten Boden in sakralen Gebäuden zu betreten. Denn der Glaube an etwas, ein nahezu unerschütterliches Vertrauen in etwas, existiert auch fernab von Kirchen, Moscheen oder Synagogen. 360 GRAMM hat deshalb den Blickwinkel auf Glauben an sich geweitet und es auf Plätzen, in Dienstzimmern oder in Praxen aufgespürt, an denen ganz weltliche Zuversichten, Hoffnungen und Überzeugungen alltäglich und zu Hause sind.
Dresden Altstadt, Acki’s Sportsbar, Auswärtsspiel gegen Holstein Kiel
Auch wenn die Tabelle aus Dynamo-Sicht derzeit eher Verzweiflung ausstrahlt: Der Glaube an die Schwarz-Gelben ist in Acki’s Sportsbar unerschütterlich. Seit 21 Jahren ist der Flachbau am Straßburger Platz die Kapelle hartgesottener Dynamo-Fans. Zu diesen gehört auch Steffi, die zu jedem Auswärtsspiel aus Chemnitz hierher anreist, um ihre Jungs zu hören. Und obwohl die blinde Frau nicht sehen kann, scheint ihr Glaube an Dynamo, ihre Liebe für den Zweitligisten unter allen bei »Ackis« eingekehrten Fans an diesem trüben 0 : 3-November-Sonntag gegen Kiel am größten zu sein.
Dresden-Klotzsche, Naturheilpraxis Luise Jakubeit
Globuli. Das klingt fast schon ein wenig nach Glauben. Und nicht wenige Menschen stehen der Homöopathie mehr als kritisch gegenüber. Luise Jakubeit weiß natürlich um diese Kritik, verweist aber in ihrer Naturheilpraxis im Souterrain der Greifswalder Straße 8 auf ihre ganz persönlichen, positiven Erfahrungen mit ihren Patienten aus den vergangenen, fast 20 Jahren. Wobei sie sagt, dass sie diese Erfahrungen bewusst als Folge ihres Glaubens an heilpraktische Verfahren und Homoöpathie machen konnte. Als ehemalige Krankenschwester in der Chirurgie gibt sie auch keine Heilungsversprechen, aber »die Leute spüren es natürlich, ob ich selbst an mein Wirken glaube«.
Dresden-Pieschen, Haus der Begegnung, Stadtgeschäftsstelle Die Linke
»Er ist das Einfache, das schwer zu machen ist.« So steht es mit den Worten von Brecht als »Lob des Kommunismus« auf einem Wandteppich im Büro der Stadtgeschäftsstelle der Linken. Dort ist der Glaube an diese Utopie stets greifbar, auch wenn nicht gerade Bundestagswahlen anstehen. Dafür sorgt vor allem Kristin Hofmann, die als Leiterin der Geschäftsstelle und Herzblut-Linke (nicht nur) die Genossen auf dem Weg zur besseren Welt kräftig auf Trab hält – und zeigt, dass man das Schwere auch ganz leicht machen kann. Selbst in der momentanen nachwuchsbedingten »Auszeit«
Dresden-Seevorstadt West, Polizeirevier Schießgasse, Vernehmungszimmer
Das Zimmer ist schmucklos und nüchtern, »spartanisch« wäre wohl untertrieben. Nur ein bunter Cartoon-Kalender bringt ein wenig Farbe in den Raum. Aber eine Einrichtung des Vernehmungszimmers im Polizeirevier in der Schießgasse nach Feng Shui-Regeln würde wahrscheinlich nur ablenken, wenn es darum geht, Zeugenaussagen Glauben zu schenken. Natürlich sind die Beamten hier nicht gutgläubig, sondern quasi dazu verpflichtet, die gemachten Aussagen oder Hinweise ernstzunehmen und ihnen nachzugehen. Eine gewisse Erfahrung und Empathie gehören laut Polizeikommissar Mario Müller aber auch dazu, um unwahre Aussagen von der Wahrheit unterscheiden zu können.
Dresden-Innere Altstadt, Kinderwunschzentrum, Spenderzimmer
Knapp tausend Paare machen sich pro Jahr auf den Weg in die vierte Etage der Prager Straße 8a – in der Hoffnung, dass sich dort ihr Kinderwunsch erfüllt. Es ist der Glaube an die medizinischen Fähigkeiten des 29-köpfigen Teams um Dr. Hans-Jürgen Held, der die Paare hierherbringt – und den männlichen Teil meistens ins Spenderzimmer. Dort kommt es nicht zuletzt auf den festen Glauben an die persönliche Manneskraft und Phantasie an. Denn der vermeintliche Automatismus »motivierender Pornofilm gleich benötigtes Sperma« funktioniert hier, unter quasi klinischen Bedingungen, oftmals nicht so leicht…
Dresden-Leipziger Vorstadt, Bischofsplatz, Einsatzwagen der Heilsarmee
An einem Dienstag- oder Donnerstagabend deutet an der Bahnunterführung rein gar nichts auf den Glauben an etwas hin. Bis kurz nach halb sieben, wenn sich hier die Seitenklappe am roten Einsatzwagen der Heilsarmee öffnet. Zweimal pro Woche fahren Rosi Scharf und ihr Team den Bischofsplatz an, um den bereits wartenden Obdachlosen heißen Kaffee oder Tee und ein warmes Abendbrot geben zu können. Bekehrt werden soll hier niemand; die möglichst niederschwellige, direkte Hilfe steht für die Heilsarmisten am Bischofsplatz im Vordergrund. Oder wie Rosi Scharf es formuliert: »Wenn jemand Hunger hat, dann muss ich ihm nicht erzählen, dass Gott ihn liebt.«
Dresden-Innere Altstadt, Theaterplatz, zum dritten Geburtstag von Pegida
Der Glaube, besonders derjenige wider besseren Wissens, scheint sich auf dem Theaterplatz recht wohl zu fühlen. Manch einer ist hier überzeugt, vor Deutschlands schönster Brauerei zu stehen. Wiederum andere, knapp 2.500 Menschen, glauben hier, (nicht nur) am 28. Oktober zum dritten Jahrestag von Pegida, gegen die Islamisierung des Abendlandes allerlei Flaggen zeigen zu müssen. Über jeden Zweifel und jedes Argument erhaben, wird vermeintlicher Protest zelebriert, der laut Frank Richter, Ex-Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, sehr ähnlich dem ist, »was man auch bei Sekten beobachten kann«.
Der Artikel “WO GLAUBEN SONST NOCH WOHNT …” wurde zuerst publiziert in “360 GRAMM”, dem Stadtmagazin für Dresden – Ausgabe #5 (Dezember 2017)